Ehrengast Fatih Akın

Die Blicke der Sehnsucht. Schläge.

Text:Jochen Schmoldt

Er ist der Sonnenkönig des deutschen Films, und in seinem Lichtspiel-Reich geht die Sonne nie unter: Fatih Akın, der Filmemacher an den Rändern von Orient und Okzident. Schon möglich, dass der 1973 in Hamburg-Altona zur Welt gekommene Sohn türkischer Immigranten sich nicht träumen ließ, einmal zu den wichtigsten Regisseuren in Europa zu gehören.
Europa: immer noch eine Vision, deren Aussicht verstellt ist durch Vorurteile von Insassen, die lieber in festen Grenzen und kleinlichen Größen denken, anstatt den Blick auf die Menschen zu richten, die da jetzt und in Zukunft miteinander und nebeneinander leben.

Genau dieser Blick auf die Menschen ist es, der sämtliche Filme von Fatih Akın auszeichnet. Es ist kein Hinunterschauen aus der Vogelperspektive, sondern der Blick Auge in Auge und – weil es ja immer auch zu Abstürzen kommt – der Blick von unten, vom Boden aus.

Fatih Akıns Akteure gehen in den direkten Clinch miteinander und scheuen den Körperkontakt nicht – aber die Oberfläche der Haut ist nicht das Ziel, sondern das, was sich dahinter verbirgt: die Seele, die Wahrhaftigkeit, die Aufrichtigkeit, die Liebe. Mysterien, gestern heute und morgen.

Und weil all diese Elemente zu oft nicht greifbar sind, sich hinter Masken und Gesten verbergen, dann muss man schon einmal draufhauen, aufritzen, verwunden, zuschlagen.

Aber Akın wäre nicht Akın, wenn er immer nur ein und denselben Film machen würde, in dem Menschen gegen unsichtbare Wände rennen. Er geht über Brücken, schaut nach, was sich drüben auf der anderen Seite abspielt. Grenzen sind es, die die Menschenwelten kleiner und enger machen, Barrieren, von Menschenhand aufgebaut. Und folgerichtig sind es Grenzgänger, die Akın interessieren – Charaktere also, die ihre Identität nicht panzern oder zumauern müssen, um leben zu können.

Leben: Was ist das? Fatih Akın gibt keine Antworten, sondern stellt Fragen, konstruiert filmische Versuchsanordnungen, erzeugt Hochspannungsräume, in denen seine Figuren voneinander angezogen werden, aufeinanderprallen, einander abstoßen. Akın weiß: Jede Drohgebärde ist auch eine Geste der Angst. Man schlägt zu aus Angst, geschlagen zu werden. Es gibt keine reinen Gutmenschen in seinem Filmkosmos, folglich auch keine absoluten Bösewichte, aber es gibt Bosheiten, Aggressionen, erzeugt durch Ignoranz, Irrsinn oder auch Blindheit. Eigenschaften, die zu vielen Menschen eigen ist im Korsett ihrer Schutzkleidung, gewebt aus Vorurteilen, Nationalitätsdünkel, Rassismus.

„Liebe, Tod und Teufel“: Das sind die drei zentralen und elementaren Begriffe in Akıns Denk- und Film-Kosmos: „Gegen die Wand“ konzentrierte sich auf „Liebe“, „Auf der anderen Seite“ thematisierte „Tod“, „Teufel“ lässt noch auf sich warten. Aber vielleicht meint Akın gar nicht den Teufel der Christen als Repräsentanten alles Bösen, sondern denkt an Geistwesen wie „Dämon“ oder „Luzifer“: Die nämlich bringen Licht in Dunkelzonen, in welche die Menschen nicht gerne hineinschauen möchten.

Und Kino ist das Medium des Lichts. Des „Licht-Spiels“, wie man früher auch Filme bezeichnet hat.

Fatih Akın ist so ein Licht-Spieler ...